… wohnt ein Zauber inne.
Hermann Hesse
Im Sommer 2019 unterzeichnete ich den Kaufvertrag für knapp 0,9 Hektar Land. Dies besiegelte den Anfang einer Reise, von der ich noch keine Ahnung hatte, wo sie hingehen sollte.
Zwei Jahre sind nunmehr vergangen und es wird Zeit einmal zurück zu blicken, kurz inne zu halten. Zu schauen, was bereits geschafft wurde, dies zu würdigen; die Menschen, die mich ein Stück weit begleiteten oder dies immer noch tun, wert zu schätzen und vielleicht auch einfach mal stolz zu sein auf das, was erreicht wurde.
Neu hinzugezogen in das Dörfchen Rieder, ein Ortsteil Ballenstedt, suchte ich vor allem erstmal Land für meine Pferde. Durch Kontakte wurde mir zeitnah das Fleckchen Erde angeboten. Etwas abseits gelegen, Bäume als Schattenspender und eine große zusammenhängende Fläche erschien mir als Glücksgriff für meine Vierbeiner.
Schnell wurde mir klar, dass jedoch nicht die Fläche so nutzbar ist, wie ich mir das gewünscht hätte. Weissdorn, Wildrosen und Brombeeren hatten sich den größten Teil der Fläche erobert. Sie waren selbst für die Pferde nicht passierbar, geschweige denn zum Grasen zu gebrauchen. Nunmehr als zwei Jahrzehnte wurde hier nichts mehr gemacht. Regelmäßig weideten zwar Kühe hier, aber auch deren Verbiss ist sehr selektiv, sodass sich die dornigen und stachligen Pflanzen ausbreiten konnten. Es war offensichtlich: hier wartete jede Menge Arbeit.
In Handarbeit ging es dann an die Entfernung der stachligen Besiedler. Ziel war zunächst, das typische Erscheinungsbild einer Streuobstwiese, die Zwei-Etagen-Landschaft bestehend aus freier Flur zum einen und zum anderen aus der Baumschicht, wieder herzustellen. Der Weissdorn war inzwischen selbst so hoch wie die Bäume, die Brombeeren hefteten sich an Kleidung und durchaus auch schmerzhaft in die Haut. Keine schöne Arbeit, Stunde um Stunde vergingen, doch das Ergebnis konnte sich dann sehen lassen. Die Bäume waren nun erreichbar und konnten einer ersten Beurteilung unterzogen werden.
Die Monate vergingen, der Winter zog langsam ein. Diese recht stupide, aber doch meditative Arbeit nahm ihre Zeit in Anspruch. Während ich so vor mich hinwerkelte, keimte der Gedanke, dies alles teilen zu wollen. Warum so viel Gaben, die die Bäume einen Schenken, für sich allein beanspruchen wollen? Über hundert Bäume stehen auf dem Fleckchen Erde, für mich allein sowieso nicht verwertbar. So suchte ich nach dem Prinzip „Gib mir eine Hand, nimm dir Obst“ Menschen, die Lust haben gemeinsam die Wiese zu pflegen und zu nutzen. Ich schaltete Anzeigen, doch was soll ich sagen, der Gedanke kam keineswegs gut an. Die Menschen machten sich die Mühe, mir zu schreiben, warum ich jemanden ausnutzen will. Wieso sie unbezahlt arbeiten sollten. Oder sie hätten auch eine Streuobstwiese, ihnen würde auch keiner helfen. Mit solch einer negativen Reaktion hatte ich wahrlich nicht gerechnet. Anscheinend ist es nicht Gewinnbringend genug für diese Menschen, sich vorzustellen, dass man gemeinsam wirtschaften und gemeinsam ernten könnte. So rückte der Gedanke erstmal in den Hintergrund, dies hier zu teilen. Er war nicht aufgegeben, nur anscheinend nicht zur rechten Zeit ausgesprochen.
Aber was ist nun mit den Bäumen?
Oh, Mist! Misteln!!
Die Bäume haben inzwischen ein Alter um die 80 Jahre erreicht. Bei entsprechender Pflege können sie allerdings weit über hundert Jahre alt werden. Natürlich kam den Bäumen aber die letzten zwei Jahrzehnte auch keine Pflege zu. Obstbäume sind Kulturpflanzen, vom Menschen gezüchtete Pflanzen, die auf das Beschneiden angewiesen sind. Andernfalls vergreisen sie frühzeitig und können Ihre volle Lebensspanne nicht ausschöpfen. So zeichnete sich auch das Bild der Streuobstwiese: viele Bäume sind bereits abgestorben, um viele weitere steht es auch nicht sonderlich gut. Hinzu kam ein massiver Mistelbefall vor allem der Apfelbäume. Misteln sind Halbschmarotzer; sie betreiben zwar Photosynthese, aber entziehen den Baum wertvolle Nährstoffe und Wasser. Durch die fehlende Pflege der letzten Jahre konnten sich die Misteln ungehindert ausbreiten und schmälerten den Baumbestand weiterhin. Der nächste Schritt, auch wenn es für den ein oder anderen Baum selbst schon zu spät war, war das Ausmerzen der Misteln. Schließlich sollen die künftigen Neuanpflanzungen nicht auch gleich Befallen werden von den Misteln.
Nun ging ich den nächsten Schritt an: die Misteln mussten weg. Bevor ich aber die Hand anlegt an die Bäume, nahm ich Kontakt auf zum www.harzer-streuobst.de. Beruflich ist Stephan Koppelin in der Baumpflege unterwegs und sein Herz hängt vor allem an den Streuobstwiesen des Harzer Landes und darüber hinaus. Er gab Tipps und Hinweise zu den Bäumen und Ratschläge, wie mit diesen verfahren werden sollte. Letzten Endes sollte das Hauptaugenmerk auf die Entfernung der Misteln gelegt werden, über den Rest sprechen wir dann später, gab er an. Bis heute ist er ein regelmäßiger Begleiter im Austausch und Baumbeschaffung für den Streuobstacker.
Der Winter 2019/2020 war also dann dem Baumschnitt gewidmet. Die Misteln und im Zuge dessen das tote Holz im Baum wurde entfern. Eine fast ein Kilometer lange sogenannte Benjes-Hecke entstand im Zuge dessen.
Die Benjes-Hecke bietet allerlei Bewohnern der Wiese Unterschlupf und Nahrung. Das Holz ist Nahrung und Nistplatz für Insekten zugleich. Igel, Blindschleichen und andere Tiere finden hier Unterschlupf.
Ein halbes Jahr ist vergangen, viel ward bereits geschafft. Dennoch ist auch dem „Ich“ noch kein „Wir“ geworden. Dies sollte noch einige Zeit auf sich warten lassen…